Chronik eines gewerkschaftlichen Sieges im Berner Oberland

Ende Januar 2024 meldeten sich einige Angestellte der Kappeler Gastro AG (auch als Hüttenzauber bekannt) in Zweisimmen bei der FAU Bern. Kappeler, welche ihnen ihre Unterkünfte vermietete, wollte diese mit einer Frist von nur sechs Tage kündigen. Ein paar Tage später teilten uns diese Personen mit, dass ihre Januarlöhne tiefer als sonst waren.

Eine Gruppe von FAU-Genoss*innen identifizierte daraufhin unzulässige Lohnabzüge, welche zu starken Lohneinbussen führten – zwei Lohnzettel wiesen sogar einen negativen Nettolohn auf! Die Zahl der Angestellten von Kappeler, die mit der FAU in Kontakt traten, nahm innerhalb weniger Tagen zu. Es ging sogar so weit, dass sich einige Gastronomie-Arbeiter*innen der Bergbahnen Adelboden-Lenk AG dem Arbeitskampf anschlossen. Sie wohnten im gleichen Haus wie die anderen und ihr Lohn wurde ebenfalls vom Betrieb willkürlich behandelt: ihnen wurden geschuldete Krankentaggelder nicht ausgezahlt.

Die FAU organisierte mehrere Treffen mit den Arbeiter*innen, um eine Kampfstrategie festzulegen. Wir beschlossen gemeinsam, die Unternehmen im Namen der Gewerkschaft zu kontaktieren. Per Brief wurden deren Leitungen auf die Unregelmässigkeiten in den einzelnen Lohnabrechnungen aufmerksam gemacht. Sie wurden ausserdem gebeten, innerhalb einer angemessenen Frist diese Unregelmässigkeiten zu korrigieren und den Arbeiter*innen die geschuldeten Beträge nachzuzahlen.

Unsere Briefe blieben ohne Antwort. Also beschlossen wir gemeinsam, am 24. Februar 2024 eine Informationsaktion an zwei Orten durchzuführen: eine auf der Skipiste vor der Rinderberg Swiss Alpine Lodge und eine vor den Gondeln der Bergbahnen Adelboden-Lenk, welche zum Metschstand führten. Die Rinderberg Swiss Alpine Lodge und der Metschstand waren die beiden Betriebe, in denen die betroffene Arbeiter*innen angestellt waren. Die Aktion war ein Erfolg. Plötzlich nahmen beide Unternehmen zu den Forderungen der Arbeiter*innen Stellung und gaben geringfügige Fehler bei den Lohnabrechnungen zu. Zu diesem Zeitpunkt boten wir ihnen Verhandlungen an. Beide Unternehmen wiesen unsere Forderungen als ungerechtfertigt zurück und forderten stattdessen Entschuldigungen für die Informationsaktion.

Noch vor unserem Verhandlungsangebot reichte Kappeler eine Strafanzeige gegen die FAU ein. Sie beschuldigte uns der üblen Nachrede, der Nötigung und der «Störung eines Betriebes» im Rahmen der Informationsaktion vor der Rinderberg Swiss Alpine Lodge. Kappeler versuchte, unsere Organisation durch repressives Vorgehen einzuschüchtern.

Die Saison ging zu Ende und die Arbeiter*innen verliessen die Schweiz. Aufgrund dessen und der Tatsache, dass sich beide Unternehmen weiterhin weigerten, eine Einigung mit uns zu erzielen, entschieden wir uns, über den Rechtsweg zu gehen. Wir erstellten mehrere Individualklagen und reichten sie bei der Kontrollstelle des Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes (L-GAV) ein. Als beide Betriebe trotz Festellungen dieser Kontrollstelle die ausstehenden Löhne immer noch nicht zahlten, beschlossen wir, Gesuche bei der zuständigen Schlichtungsbehörde einzureichen.

Aus unserer Sicht setzten beide Unternehmen auf eine Zermürbungsstrategie in der Hoffnung, dass irgendwann niemand mehr Energie für den Kampf hätte. Tatsächlich entschieden sich einige Betroffene dafür, dieses schwere Kapitel ihres Lebens abzuschliessen und nicht auf dem Rechtsweg weiterzukämpfen. Sie waren durch die nötigen Ressourcen, um ihre Rechte geltend zu machen, abgeschreckt.

Nachdem die Polizei Vorermittlungen im Zusammenhang mit der von Kappeler gegen die FAU eingereichten Strafanzeige eingeleitet hatte, verfügte die Staatsanwaltschaft im Herbst eine Nichtanhandnahme. Sie eröffnete kein Verfahren, weil nicht genügende Hinweise auf eine Straftat bestanden bzw. das angezeigte Verhalten nicht strafbar war.

Am 13. November 2024 fanden schliesslich die Schlichtungsverhandlungen gegen Bergbahnen Adelboden- Lenk und am 20. Januar 2025 die Verhandlungen gegen Kappeler statt. In beiden Fällen erzielten wir bzw. die sechs von der FAU vertretenen Arbeiter*innen äusserst positive Ergebnisse: es wurde mit beiden Unternehmen Einigungen getroffen, dass ausstehenden Lohnbestandteile im Umfang von insgesamt CHF 9'400.- an fünf Arbeiter*innen nachgezahlt werden müssen. Für die sechste Person wurde nach den Verhandlungen CHF 2'700.- Krankentaggeld bei der zuständigen Versicherung eingeholt. Nach fast einem Jahr der Verweigerung und des Trotzes gestanden sowohl Bergbahnen Adelboden-Lenk als auch Kappeler ihr Fehlverhalten indirekt ein, als sie die Vereinbarungen zur Nachzahlung unterschrieben.

Wir haben mehrmals auf individueller Ebene gesiegt. Die systemischen Lücken, welche zur Ausbeutung von prekären Arbeiter*innen in der saisonalen Gastronomie führen können, bestehen weiterhin. So kommen beide Betriebe ohne entsprechende Rechenschaftsmechanismen gut davon: sie wurden nicht gerügt, sie mussten weder Entschädigungen noch Bussen zahlen, geschweige denn sich für ihr Verhalten entschuldigen. Sie mussten auch nicht beweisen, dass sie Kontrollen eingeführt haben, um ein solches Vorgehen zukünftig zu unterbinden. Ausserdem mussten sie nur für die handvoll Arbeiter*innen nachzahlen, die bis zum Schluss kämpfen konnten: Es ist offen, wie viele Arbeiter*innen sonst noch einen Anspruch auf Nachzahlungen hätten. Schliesslich wird das willkürliche Handeln der Betriebe durch den L-GAV nicht ausreichend eingeschränkt. Es ist keine Busse vorgesehen, wenn ein dem L-GAV unterstellter Betrieb unzulässige Lohnabzüge macht oder geschuldete Krankentaggelder nicht auszahlt. Der L-GAV verbietet es nicht, Arbeitsverträge von dreieinhalb Monaten abzuschliessen, welche Probezeiten von drei Monaten (85% des Arbeitsverhältnisses) mit einer schutzlosen Kündigungsfrist von sieben Tagen beinhalten. Der L-GAV sieht keinen Lohnzuschlag vor, wenn die Ruhezeit zwischen den Arbeitstagen weniger als elf Stunden ist. Und so weiter… Wie ein Papiertiger gibt sich der L-GAV stark und paritätisch, gewichtet aber offensichtlich die Interessen der Betriebe höher als den Schutz der Arbeiter*innen, insbesondere der Prekärsten unter ihnen.

Solange sich der rechtliche Rahmen für Arbeiter*innen in der Branche der saisonalen Gastronomie nicht verbessert, werden wir uns weiterhin durch hartnäckige und öffentlichkeitswirksame Gewerkschaftsarbeit für die Rechte und Würde der Arbeiter*innen einsetzen. Dafür organisieren wir uns. Gegen Ende der aktuellen Wintersaison sind die Augen der FAU umso mehr auf diesen Sektor gerichtet.

Zurück